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Mehr Netto vom Brutto

Welt.de hat die Ergebnisse der Sternumfrage (s. Post Zwanzig Jahre für lau) dazu verwendet, die alte FDP-Forderung wieder hervorzukramen: Mehr netto vom brutto. Ihre Analyse strotzt nur so vor Fehlern. Fangen wir mal an:
"Einerseits gibt es in vielen Branchen weniger zu verteilen, weil die Unternehmen weniger verdienen als früher".
Früher bezieht sich in Kontext der Sternstudie auf 1990. Wie haben sich denn die Unternehmens- und Kapitalgewinne entwickelt? Vor 1990: "Mit der rasanten Entwicklung der Unternehmensgewinne konnten Löhne und Gehälter nicht Schritt halten". 2004 (aus der Welt): "Dabei geht der Trend zu deutlich steigenden Gewinnen durch alle Branchen. Pharmaunternehmen und Stahlhersteller, Stromkonzerne und Elektrounternehmen, sie alle erfreuen ihre Aktionäre mit immer besseren Geschäftszahlen." Und von destatis: "Seit 1991 hat sich der gesamtwirtschaftliche Unternehmensgewinn mehr als verdoppelt, von 312 Mrd. Euro auf 672 Mrd. Euro im Jahr 2007." [pdf]. Im destatis PDF sind auch mehrere Diagramme, die die Entwicklung noch mal vor Augen führen. So gegen Ende der 90er entkoppelt sich das private Haushaltseinkommen von den Unternehmensgewinnen.

Betrachtet man die Gehaltsempfänger, lässt sich festhalten, dass oben weiter munter mehr verdient wird. Während bei der gemeinen Altenpflegerin immer mit dem Verweis auf ihre polnische Konkurrentin gedroht wird und in der IT die Tata-Invasion ansteht, sind unsere Vorstandsvorsitzenden unersetzlich. Der Aufsichtsrat winkt jedes Jahr neue Gehaltserhöhungen durch. Man kennt sich ja vom Golfen. Und sonst ist dieser Top-Mann weg. Wer hätte schon Jürgen Schrempp verjagen wollen?


Dass diese Drohkulisse nicht mehr ist als ein Bluff, zeigt sich jetzt bei der Commerzbank. Wegen des Einstiegs des Bundes dürfen Vorstände nur noch 500.000€ verdienen. Die Fluktuation im Vorstand hält sich in Grenzen. Überraschung.
"Andererseits – das darf man nicht übersehen – hat sich die Dynamik in andere Wirtschaftszweige verlagert. Dass Banker heute viel mehr verdienen, zeigt, dass die Finanzbranche bis 2007 viel zum Wachstum beigetragen hat."
Ob Banken überhaupt einen relevanten Beitrag zur wirtschaftlichen Dynamik leisten, diskutiert Wolfgang Münchau gerade. Er tendiert zu ja. Es gibt auch andere Stimmen. Eine für mich plausible Meinung ist, dass eine Bank ein notwendiges Übel ist, so wie ein Notar beim Immobilienkauf. Dass ein Notar bzw. eine Bank positive wirtschaftliche Impulse sendet, wenn er seine Preise erhöht und dadurch seine Kunden abkassiert, sehe ich nicht.

Positive Impulse kommen von Unternehmern, Ingenieuren und Erfindern. Oder Informatikern, die seit 1990 wohl einen wesentlichen Beitrag zum Wachstum geliefert haben. Wir leben doch im Internet/Computer/Informationszeitalter? Komisch nur, dass bei ebendieser Gruppe gar nichts vom größer gewordenen Kuchen ankommt (-30%).
"Die schwarz-gelbe Regierung sollte daher jene Webfehler im Steuersystem beseitigen, die dafür sorgen, dass jeder Euro an Lohnerhöhung überproportional besteuert wird. Versprochen hat sie es ja."
Wer wirklich vom Wohlstand abgeschnitten ist, ist die Unterschicht. Es scheint in diesem Land überhaupt keine Untergrenze zu geben, für wie wenig jemand arbeiten soll. Wirtschaftsweise 3€ gefällig?

Unsere freundliche Regierung, die sich munter für Deutschlands Hotels einsetzt (s. Post Die Hotel Mehrwertsteuer Entlastung), weigert sich standhaft, den Working Poor Deutschlands einen Mindestlohn zuzubilligen. Die alternative Idee der CDU ist es, sittenwidrige Löhne zu definieren. "Damit sollen Löhne verhindert werden, die um ein Drittel unter dem durchschnittlichen Branchenlohn liegen." Das schöne an dieser Idee ist, dass sich über Zeit der durchschnittliche Branchenlohn nach unten verschiebt, wenn die Arbeitgeber nur an einem Strang ziehen.

Ganz unten ist der Lohn übrigens netto, weil man keine Lohnsteuer zahlt, stattdessen eben die Sozialabgaben. Und genau da (und nicht bei der Steuer) könnte man ansetzen. Der Trend scheint aber eher in die andere Richtung zu gehen. Die Abgaben sollen hoch und die solidarische Finanzierung der Sozialversicherungen weg, Stichwort Kopfpauschale.

Wie die Präsidentin der größten deutschen gesetzlichen Krankenversicherung richtig feststellt, sind die jährlichen Erhöhungen für die Unternehmen ohne Weiteres zu schultern. Für die Arbeitnehmer hingegen würde das Ende der solidarischen Finanzierung bedeuten, dass sie erst mal auf sich gestellt wären. Wo heute zumindest die Hälfte der Erhöhungen automatisch an den Arbeitgeber weitergereicht wird, müsste man zukünftig aktiv eine Gehaltserhöhung raushandeln, um die Erhöhung zu kompensieren. Wie freudig Gehaltserhöhungen die letzten zwanzig Jahre verteilt wurden, siehe oben.

Mehr Geld für die Unterschicht ist nebenbei bemerkt auch gut für die Konjunktur. Die hauen es nämlich direkt raus, denn sie leben eh von der Hand in den Mund, sei es für Bier oder Klamotten für die Kinder. Das hat dann direkt positive Auswirkungen auf die Binnennachfrage und damit die Konjunktur. Gibt man der Mittel- bzw. der Oberschicht hingegen das Geld, landet es auf dem Sparkonto. Guter Plan.

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