Gestern wurde Dresden der Weltkulturerbe Status aberkannt. Dieser Schritt wurde durch den Bau der Waldschlößchenbrücke begründet, die die "outstanding universal value" Dresdens zerstört. Psychologisch vorgebildet würde ich bei den Dresdnern Bürgern und der Stadtverwaltung Reaktanzverhalten diagnostizieren. Andere halten es für Ausdruck der besonders schlimmen Autofahrermentalität vor Ort bzw. für "ein Überbleibsel der überkommenen Ideologie einer autogerechten Stadt". Inwiefern die Baukosten der Brücke niedriger sind als die des Tunnels, kann ich nicht beurteilen. Hingegen kommen mir große Zweifel, ob sich die Brücke langfristig rechnet. Die Bundes-Förderung für das Weltkulturerbe entfällt und negative Effekte für den Tourismus kann man ebenfalls unterstellen. ... Wie auch immer: Ich bin froh, dass es ein Welterbe weniger gibt.
Wer sich die Welterbeliste anschaut, findet dort mittlerweile 878 Einträge, allein in Deutschland über 30. Für mich habe ich heute mal überschlagen, wie viele ich bisher besucht habe, und bin auf 60 gekommen. Ich war im Bulguksa Tempel, habe die Überreste von Mesa Verde gesehen, mit Atembeschwerden auf der Spitze des Teide gekämpft und mit Freunden bei Sonnenuntergang ein Dosenbier auf dem Pont du Gard getrunken. Schön.
In Deutschland war ich zuletzt in Dessau, um Das Bauhaus zu sehen. Meine Erwartung war, dass es dort viele Gebäude der Bauhaus-Schule gäbe und dass man mit einem Tagesausflug zu einem Weltkulturerbe nichts verkehrt machen kann. Wenn ich etwas drüber nachdenke, waren meine Erwartungen naiv. Bauhaus war eine Bewegung, kein Ort. Dass die wichtigen Gebäude woanders errichtet wurden, ist auch logisch. Wer baut schon in Dessau statt in Berlin oder New York?
Die Unesco begründet die Auswahl so:
[T]hese buildings are the seminal works of the Bauhaus architectural school, the foundation of the Modern Movement which was to revolutionize artistic and architectural thinking and practice in the twentieth century.
Das Revolutionäre würde die Bewegung also erst zu einem späteren Zeitpunkt an anderen Orten schaffen. Diese Gebäude haben die Bewegung geprägt. Ist Dessau wirklich ein Ort, den wir international als Erbe der Menschheit auszeichnen müssen? In meinen Augen wäre eine nationale bzw. europäische Auszeichnung völlig ausreichend.
Das geht weiteren Weltkulturerben in Deutschland ähnlich. Nehmen wir Lübeck. Das Holstentor ist großartig, die Kirchen sind schön und wenn ich die Wahl habe, mir Brügge oder Lübeck anzuschauen, fahre ich nach Brügge. Wer im hanseatischen Ostseeraum bleiben möchte, ist in Visby oder Talinn auch besser aufgehoben. Die Schlösser in Brühl ("among the earliest examples of Rococo architecture in 18th-century Germany") halten mit Versailles (selbst den Nebenpalästen aus der gleichen Zeit) beim besten Willen nicht mit. Bezeichnungen wie Klein-Venedig für einen Teil von Bamberg oder Elbflorenz für Dresden sind gewöhnungsbedürftig, wenn man die Originale kennt.
In anderen Ländern findet man eine ähnliche Inflation. Wenn ich mir die französische Liste anschaue, fallen mir direkt ein paar Streichkandidaten ein. In England schlägt der Independent selbst einen Kandidaten vor.
Die Unesco täte gut daran, selbst einmal ihre Auswahl zu überprüfen und zukünftig harte Kriterien anzulegen. Für Deutschland muss ich sagen, dass ich keine der nominierten Stätten aufnehmen würde. In Zukunft könnte man noch alte Fehler korrigieren, wenn man die passenden Baumaßnahmen fördert. Bremen braucht doch bestimmt eine neue Weserbrücke vom historischen Stadtkern aus? Und Köln einen zweiten Autobahnring durch Brühl. Die Dresdner sollten Werbung machen.
Ha, grad n Bericht in den spanischen Nachrichten gesehen, dass der Tower of Hercules jetzt Weltkulturerbe ist, also bleibt die Anzahl wohl gleich ;)
AntwortenLöschenWitzigerweise kam direkt danach ein eher negativer Bericht über mehrere Weltkulturerbe-Stätten in ziemlich schlechten Zustand in Spanien, die komplett zusammengebrochen/mit Grafiti besprüht sind oder halb auseinanderfallen.