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Totalverlust bei FTD

Heute morgen ging eine Meldung zu Kaupthing über den Ticker: Deutsche Kaupthing-Anleger vor Totalverlust. Ich habe kurz geschluckt; meine Freundin wartet ja noch auf ihr Geld. Ursprung der Meldung war eine Financial Times Deutschland Exklusivmeldung, die als Quelle den isländischen Präsident anführt:

Es sei "ungerecht", dass ausländische Anleger erwarteten, dass Island "die ganze Last" der Finanzkrise trage, sagte das Staatsoberhaupt. Das sagte Grimsson im FTD-Interview. Den isländischen Steuerzahlern sei es nicht zu vermitteln, dass sie jetzt auch noch für die Verluste deutscher Sparer aufkommen müssten.
"Ich bin überrascht von den Forderungen unserer Freunde im Ausland", sagte der Präsident. Die weltweite Finanzkrise sei nicht allein eine isländische Angelegenheit, fügte Grimsson hinzu. Verantwortlich für den Bankencrash sei vielmehr das europäische Bankensystem, das dringend reformiert werden müsse, so Grimsson.

Im restlichen Artikel werden die Hintergründe geschildert, die Haltung des Bundesfinanzministeriums und die Insolvenzsituation bei Kaupthing. Nach Aussage des Zwangsverwalters "verfügt Kaupthing bereits über 80 Prozent der erforderlichen 330 Mio. €."

Stop: Wie passt "80 Prozent" zu dem drohenden "Totalverlust" aus der Schlagzeile? Gar nicht. Das ist aber nur der offensichtlichste journalistische Fehlgriff der Meldung.

Wenn man die im Artikel aufgeführten Aussagen des Präsidenten auf der Sachebene interpretiert, stellt man fest, dass der Präsident nirgends sagt, dass die deutschen Sparer leer ausgehen sollen. Dass er etwas "ungerecht" findet, ist sein gutes Recht. Und dass es für Isländer "nicht zu vermitteln" ist, was ihre Banken ihnen da eingebrockt haben, glaube ich gerne.

Ein guter Journalist sollte über das Hintergrundwissen verfügen, dass der Präsident in Island eine repräsentative Funktion inne hat und nicht am Entschädigungsprozess beteiligt ist. Und ist es nicht guter journalistischer Standard, zwei unabhängige Quellen zu haben, bevor man eine Schlagzeile draus kocht?

In der Zwischenzeit hat die FTD eine Korrektur einen weiteren Artikel geschrieben. Jetzt wird der Präsident wie folgt zitiert:

"Was die gewöhnlichen Leute in Island ein wenig schwer zu verstehen finden: Wenn unsere Familien, unsere Eltern, unsere Großeltern, unsere Wohlfahrtsorganisationen und Kirchen und Universitäten und andere viel Geld verloren haben - warum sollten wir dann jeden im Ausland vollständig entschädigen?"
Auch hier steht eigentlich nichts, was inhaltlich falsch ist. Er stellt nur in Frage, ob alle Anleger vollständig entschädigt werden. Wieder kein Wort von Totalverlust. Außerdem ist es sachlich nicht falsch, weil in Island eine Obergrenze von 20.000€ für die Einlagensicherung gilt. Statt sich für den niedrigen journalistischen Standard zu entschuldigen, schieben die Autoren einen selbstgerechten Kommentar nach:
"Nach der "Erfüllung aller internationalen Verantwortlichkeiten", von der Grimsson jetzt spricht, klang das nicht"
Nach Totalverlust aber auch nicht.

Das traurigste an der Geschichte ist, dass diese Meldung unreflektiert in vielen Onlinemedien publiziert wurde. Wie es auch geht, zeigt die FAZ.

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