Direkt zum Hauptbereich

Über den Kunden reden

Ich habe in einer mittelgroßen Stadt Informatik studiert, nennen wir sie mal Karlsruhe*. Die Größe hatte Vor- und Nachteile. Vorteile: Man konnte überall zu Fuß hin und es war nicht anonym. Nachteile: Es gab keinen Ansons (kleiner Insider) und man traf Leute immer zur falschen Zeit. Mir erging es häufig so, dass ebendie Person direkt hinter mir stand, über die ich gerade lästern etwas erzählen wollte. Mit der Zeit habe ich mir den Karlsruhe*-Blick angewöhnt: Bevor ich über eine Person reden würde, schaute ich mich im Raum um, um wirklich sicher zu sein, dass sie nicht dort wäre.

Diesen Blick habe ich aus meiner Studienzeit mitgenommen. Viele Gesprächspartner sind überrascht, wenn ich mitten im Satz aufstehe, mich im Raum umgucke und mich dann wieder setze, um den Satz fortzuführen. Man kann es Paranoia nennen, ich nenne es eben meinen Karlsruhe*-Blick.

Als Berater hat mir dieses Verhalten partiell geholfen: Der Kunde ist ebenfalls überall. Wenn man abends mit Kollegen unterwegs ist, kann es sehr gut sein, dass Interne aus der Nachbarabteilung gleich am Nachbartisch sitzen. Gerade in kleinen Provinznestern sind die Ausgehorte stark eingeschränkt, so dass man sich regelmäßig über den Weg läuft. Noch häufiger trifft man andere Externen: Die haben abends auch nichts zu tun.

Neben den Aktivitäten unter der Woche sind An- und Abreise gefährlich, es sei denn man fährt Auto. Die Reisezeiten von Beratern und Kunden sind ähnlich und der Zielort auf der Hinreise gleich (bzw. der Startort auf der Rückreise). Das heißt, mit einiger Wahrscheinlichkeit ist der Typ mit dem Laptop neben mir ein Berater von einer anderen Firma, der eine Etage höher zu High Frequency Trading berät.

In all diesen Situationen wäre es sehr hilfreich, nicht über den Kunden und die Arbeit zu reden. Das ist nur verdammt schwer. Wenn das Projekt toll ist, möchte man davon erzählen. Und wenn das Projekt Mist ist, ebenso. Wenn der Kundenverantwortliche beim Mittag dabei ist, erzählt man von Akquise-Chancen. Und wenn der Vorstandsvorsitzende wieder eine großartige Email geschrieben hat, dann ruft man den Kollegen in München an und hat einen gemeinsamen Lacher.

Was ich deshalb versuche, ist meine Kommunikation zu anonymisieren, soweit das möglich ist. Ich verwende nie den Namen des Kunden in einem Gespräch, höchstens den ersten Buchstaben des Nachnamens. Ich lasse die Gegenseite Inhalte raten und bestätige dann nur mit Ja/Nein. Ich versuche ein stilles Plätzchen für mein Gespräch zu finden bzw. das Gespräch aufzuschieben

Zum letzten Punkt: Wir hatten mal einen Büronachbarn von einer anderen Beratung. Der ist selbst im Winter vor die Tür gegangen, um interne Telefonate zu machen. War schon lustig, wie er vor unserem Fenster hoch und runtergelaufen ist. So muss es sein.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Finanzblog des Jahres? Sicherlich.

Dieser Blog wird ab morgen für den Finanzblog des Jahres Finance Blog of the Year nominiert sein. Die Organisatoren von Smava, einer P2P-Bank, haben mir einen entsprechenden Kommentar an meinen SOA Post  angehängt . Wobei sie verwundert bemerkt haben, dass ich überhaupt keine Kontaktdaten auf der Seite habe... KURZER HINWEIS: Der Blog ist anonym, weil ich ungern beim Kunden oder von meinem Chef darauf angesprochen werden möchte. Ich verdiene kein Geld mit meinen zwölf Lesern am Tag und habe auch keine Werbung. Gehostet wird er in den USA (blogspot.com). Deswegen spare ich mir auch das Impressum. Damit wäre dann auch klar, dass ich nicht gewinnen will. ;)

Literaturempfehlung und Promotionsverfahren

Am Donnerstag schaue ich nach langer Zeit wieder mal bei "meinem" Lehrstuhl rein, wo ich knapp ein Jahr beschäftigt war. Es soll dort tatsächlich jemand die Promotion erhalten. Das will ich mit eigenen Augen sehen. Und ich war schon lange nicht mehr dort. Parallel dazu hat mir meine Freundin " Der ganz normale Wahnsinn - Vom Umgang mit schwierigen Menschen " geschenkt. Ein tolles Buch. Zum ersten Mal hatte ich das Buch am Lehrstuhl an der Hand und habe das Kapitel über narzißtische Persönlichkeiten gelesen. Mein Prof. war nämlich eine. Von neun DSM IV Kriterien erfüllt er locker sechs. Ein anderer Kollege, der schon deutlich länger dabei war, tippte auf acht. Fünf deuten auf die Störung hin. Eine Episode: Ein Assistent hatte ein Paper erfolgreich bei einer Konferenz untergebracht. Der Prof. hatte das Paper gereviewt. Trotzdem stellte der Professor das Paper als seine Leistung war. Der Assistent hatte ja nur "seine Gedanken" umgesetzt (Kriterium 1: Übertre...

Der Berater Hemdensprint

Ich hatte am Montag Abend mit meinem Chef einen Termin beim Kunden, um mich vorzustellen. Der Termin lief so la la . Sie wollten gerne Erfahrungen in der bei ihnen eingesetzten Komponente, die Marktrisiko abdeckt. Ich hingegen verfüge über Erfahrungen mit einer anderen Komponente der Produktfamilie, für Kreditrisiko. Beide Komponenten werden unter demselben Namen vertrieben, es sind aber zwei ganz unterschiedliche Produkte. Eins ist webbasiert , das andere läuft serverseitig . Immerhin verwenden beide das gleiche Farbschema . Der Kunde fragte diesen Unterschied im Gespräch noch einmal explizit nach und verzog das Gesicht, als ich "Nein, mit [...] habe ich keine Erfahrung" antworten musste. Für den Termin hatte ich Sonntag Nacht extra noch zwei Hemden gebügelt. Ich bügele nicht mit Dampf (saut immer so rum ), sondern nutze einen Pflanzenbefeuchter . Der Pflanzenbefeuchter hat den Nachteil, dass die Wäsche nach dem Bügeln noch etwas feucht ist, wenn man ungenau sprüht. Das w...