Direkt zum Hauptbereich

Kopfschüttelnde Wähler

Gestern Abend wurde hochspektakulär und wenig überraschend Christian Wulff zum Bundespräsident gewählt. What a surprise. Es hat drei Wahlgänge gebraucht; ein paar Mitglieder der Bundesversammlung wollten ihrer Kanzlerin etwas mehr Nachrichtenpräsenz verschaffen. Any publicity is good publicity.

Die Appelle zur freien Wahl des Bundespräsidenten sind in der Medienleere verhallt. Die Hoffnung durch die Wahl eines unabhängigen Präsidenten statt eines Parteikaders unsere Demokratie zu stärken kann man beerdigen. Sie war auch reichlich naiv; wozu haben wir eine Parteiendemokratie? It's my party.

Aber auch die andere Sicht, einen Abgesang auf unsere Demokratie anzustimmen, scheint mir verfehlt. Die Bundespräsidentenwahl ist nicht erst seit Merkel, sondern seit Anbeginn ein hoch undemokratischer Vorgang. Als Wähler bei der Wahl der Landtage und des Bundestags weiß man immerhin ungefähr, welchem(r) Kanzler(in) oder Ministerpräsidenten(in) man indirekt seine Stimme gibt. Für die  Bundesversammlung hingegen kann nicht davon gesprochen werden, dass sich hier der freie, reine Wählerwille widerspiegelt. Don't blame me for Wullf.



Ich halte mich für passabel politisch gebildet und trotzdem habe ich keine Vorstellung wer wie wo würfelt, so dass Martina Gedeck eine Stimme für den Bundespräsidenten abgeben darf. Tolle Schauspielerin, aber nie von mir oder einem anderen Wähler gewählt. Demokratie und wählen, da war doch was? It used to be...

Eine Sache, die nie demokratisch war und höchstens Symbolcharakter hat, würde ich nicht als Beleg für das Ende der Demokratie heranziehen. Auch (lesenswerte) Systemkritik à la weissgarnix ist für mich kein Zeichen von Demokratieversagen. Zwar stimme ich zu, dass die Mitte der Gesellschaft im Glauben zur Elite der Gesellschaft zu gehören, Politik mitträgt, die der Elite nutzt und der Mitte und den "Faulpelzen" schadet. Aber in einer Demokratie zwingt niemand den Wähler einen illusionsfreien Blick auf Politik zu haben. You are free to be fooled.

Trotzdem habe ich auch große Zweifel, wie es bei uns mit der Demokratie weitergeht. The end is coming near. Die politische und gesetzliche Verarbeitung der Finanzkrise kommt nicht voran. In Washington ist das Vorhaben de facto beerdigt; in Europa kämpfen noch ein paar wackere EU-Parlamentarier. In Deutschland hatten wir immerhin einen kleinen Bugfix als Alpharelease. Not that much to show.

Hier hängt der Fortschritt nicht am Wähler. Alle Menschen, sprich Wähler, die ich außerhalb des Bankensektors so treffe, erwarten große Veränderungen. Ich muss dann immer entgegnen: Bisher ist nichts passiert, es geht weiter wie immer. Als Reaktion erhalte ich dann ein Kopfschütteln. So that's it? Und genau dieses Kopfschütteln ist für mich die größte Gefahr für unsere Demokratie.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Finanzblog des Jahres? Sicherlich.

Dieser Blog wird ab morgen für den Finanzblog des Jahres Finance Blog of the Year nominiert sein. Die Organisatoren von Smava, einer P2P-Bank, haben mir einen entsprechenden Kommentar an meinen SOA Post  angehängt . Wobei sie verwundert bemerkt haben, dass ich überhaupt keine Kontaktdaten auf der Seite habe... KURZER HINWEIS: Der Blog ist anonym, weil ich ungern beim Kunden oder von meinem Chef darauf angesprochen werden möchte. Ich verdiene kein Geld mit meinen zwölf Lesern am Tag und habe auch keine Werbung. Gehostet wird er in den USA (blogspot.com). Deswegen spare ich mir auch das Impressum. Damit wäre dann auch klar, dass ich nicht gewinnen will. ;)

Literaturempfehlung und Promotionsverfahren

Am Donnerstag schaue ich nach langer Zeit wieder mal bei "meinem" Lehrstuhl rein, wo ich knapp ein Jahr beschäftigt war. Es soll dort tatsächlich jemand die Promotion erhalten. Das will ich mit eigenen Augen sehen. Und ich war schon lange nicht mehr dort. Parallel dazu hat mir meine Freundin " Der ganz normale Wahnsinn - Vom Umgang mit schwierigen Menschen " geschenkt. Ein tolles Buch. Zum ersten Mal hatte ich das Buch am Lehrstuhl an der Hand und habe das Kapitel über narzißtische Persönlichkeiten gelesen. Mein Prof. war nämlich eine. Von neun DSM IV Kriterien erfüllt er locker sechs. Ein anderer Kollege, der schon deutlich länger dabei war, tippte auf acht. Fünf deuten auf die Störung hin. Eine Episode: Ein Assistent hatte ein Paper erfolgreich bei einer Konferenz untergebracht. Der Prof. hatte das Paper gereviewt. Trotzdem stellte der Professor das Paper als seine Leistung war. Der Assistent hatte ja nur "seine Gedanken" umgesetzt (Kriterium 1: Übertre...

Der Berater Hemdensprint

Ich hatte am Montag Abend mit meinem Chef einen Termin beim Kunden, um mich vorzustellen. Der Termin lief so la la . Sie wollten gerne Erfahrungen in der bei ihnen eingesetzten Komponente, die Marktrisiko abdeckt. Ich hingegen verfüge über Erfahrungen mit einer anderen Komponente der Produktfamilie, für Kreditrisiko. Beide Komponenten werden unter demselben Namen vertrieben, es sind aber zwei ganz unterschiedliche Produkte. Eins ist webbasiert , das andere läuft serverseitig . Immerhin verwenden beide das gleiche Farbschema . Der Kunde fragte diesen Unterschied im Gespräch noch einmal explizit nach und verzog das Gesicht, als ich "Nein, mit [...] habe ich keine Erfahrung" antworten musste. Für den Termin hatte ich Sonntag Nacht extra noch zwei Hemden gebügelt. Ich bügele nicht mit Dampf (saut immer so rum ), sondern nutze einen Pflanzenbefeuchter . Der Pflanzenbefeuchter hat den Nachteil, dass die Wäsche nach dem Bügeln noch etwas feucht ist, wenn man ungenau sprüht. Das w...