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Der große Beraterverschiebebahnhof

Montag morgens, Donnerstag abends oder Freitag nachmittags findet in Deutschland der große Beraterverschiebebahnhof statt. Ob mit Flugzeug, Bahn oder PKW, die Berater Deutschlands machen sich am Montag auf, um zum Kunden zu kommen. Und Donnerstag bzw. Freitag geht es dann nach Hause zurück.

Dabei fliegt Berater Müller montags von Hannover nach München, um BMW im Customer Relationship Mangement (CRM) zu beraten. Berater Schmidt hingegen, ähnlicher Background, fliegt von München nach Hannover, um die gleiche Dienstleistung für Volkswagen zu erbringen. Global betrachtet ist das der schiere Wahnsinn.
  • Die Mitarbeiter Schmidt und Müller sind unter der Woche nicht zu Hause.
  • Die Arbeitgeber von Schmidt und Müller müssen nicht unwesentliche Reisekosten tragen (Spesen, Hotel, An- und Abreise).
  • Die Umwelt wird belastet.
Und das alles, ohne dass für unsere Volkswirtschaft echter Mehrwert entsteht. Die Dienstleistung hätte bei gleicher Qualität lokal erbracht werden können.


Der Beraterverschiebebahnhof wirkt für den geneigten Leser amüsant. Für mich ist er es aber nicht. Bin ich wieder einmal in der Reisezeitverlängerung (Personenschaden, Unwetter, Stau), stößt es schon bitter auf, mir klar zu machen, dass parallel mein „Zwilling“ in die andere Richtung reist. Auch bei mir zu Hause gibt es Banken und Versicherungen, die IT-Projekte machen und denen ich mein Skillset andienen könnte. Mein magisches Skillset hat wenig mit einer konkreten Software, Abteilung oder Bank zu tun: Primär verkaufe ich meine schnelle Auffassungsgabe, meine Belastbarkeit (Arbeitszeiten) und mein hohes Lerntempo.


Es gibt natürlich lokale, betriebswirtschaftliche Gründe für den Verschiebebahnhof. Die Firma von Müller hat eventuell gute Kontakte zu BMW, aber nicht zu Volkswagen, oder sie will sich „breiter“ aufstellen, um nicht so abhängig von dem einem Hauptkunden Volkswagen zu sein. Bei Schmidt wird es andersherum sein.

Die Reisekosten spielen dabei eine untergeordnete Rolle für die Firma. Entscheidend ist, dass den Kosten Einnahmen (Tagessätze) gegenüberstehen. Viel mehr als die monatlichen Reisekosten hassen es Beratungen, einen projektlosen Mitarbeiter im Büro zu haben. Der produziert zwar keine Reisekosten, aber auch keine Einnahmen (s. Hotel, ist das nicht teuer?). Vor die Wahl gestellt, heute einen Mitarbeiter nach Schwäbisch-Hall zu schicken oder in einem Monat ein Projekt zu Hause zu haben, wählen die meisten Chefs Schwäbisch-Hall; dem variablen Vergütungsbestandteilen sei Dank.

Manche Beratung gehen sogar einen Schritt weiter. Nicht nur, dass sie nicht zögern, Mitarbeiter zu versenden; sie streben es sogar an. Denn ein Mitarbeiter, der nicht zu Hause ist, hat auch keine sozialen Verpflichtungen, die seine Arbeit beeinträchtigen. Wozu früher gehen, wenn doch nur das Hotelzimmer wartet? Dann doch lieber den Bug beheben oder die Folie überarbeiten, besonders wenn man Spaß an der Sache hat, die man gerade macht. Und um 20h ist ja auch noch das Abendessen mit den Beraterkollegen beim Italiener…

Langfristig geht es aber nach hinten los. Die Gehälter von Beratern sind nicht besser als in der Industrie selbst. Und wenn man rumgekommen ist und alles mal gesehen hat, dann möchte man abends auch irgendwann auf der eigenen Couch wegdösen als im Hotelbett.

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